„Eigentlich machen wir hier ja gar nichts Besonderes“, begrüßt uns Sönke Holling. Mitten in der Hitzewelle bei gut 30°C sind wir zu Besuch in Osterstedt, im Kreis Rendsburg-Eckernförde in Schleswig-Holstein. Außer der Ventilatoren und einem Radlader herrscht überall Ruhe. Genauso ruhig und entspannt wie die Kälber und Kühe wirkt auch Betriebsleiter Sönke Holling (48 Jahre).
Zu dem stetig gewachsenen Milchkuhbetrieb von Sönke und Heike Holling sowie ihren Söhnen Oke und Lasse gehören heute rund 430 Holsteinkühe, die weibliche Nachzucht, Angus-Rinder und rund 330 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche plus Grünland. Am Hauptstandort in Osterstedt sind rund 330 Kühe untergebracht, die dreimal täglich in einem Doppel-8er-Boumatic Fischgrätenmelkstand gemolken werden und eine durchschnittliche Laktationsleistung von 13.200 kg Milch erreichen. „Vor der Hitze lagen wir im Schnitt bei 41 kg Milch pro Kuh und Tag, aktuell sind es etwa 38 kg mit 3,60 % Fett und 3,25 % Eiweiß“, sagt Sönke Holling.
An einem zweiten „Melk-Standort“ rund sieben Kilometer entfernt, den sie kürzlich übernehmen konnten, werden derzeit alle ZU-Kühe „abgemolken“. Die Leistung der 100 Kühe liegt im Schnitt bei 10.500 kg Milch. Im letzten Jahr haben sie rund 5,5 Mio. Liter Milch abgeliefert. Das Jungvieh ist auf zwei weitere Standorte verteilt, ein und zehn Kilometer entfernt, die ebenfalls vom „Holling-Team“ bewirtschaftet werden
Das gesamte Betriebskonzept erfordert viel Logistik, Kuhverstand und Menschenkenntnis. Wie Sönke Holling das managt und dabei entspannt bleibt, hat er uns beim Betriebsrundgang verraten.
Betriebsspiegel
| gesamt: 430 Kühe mit 12.570 kg Milch
| Standort 1: 330 Kühe mit 13.200 kg Milch
| Standort 2: 100 Kühe mit 10.500 kg Milch
| insgesamt vier Standorte, Hauptstandort 25590 Osterstedt
| 330 Hektar und 150 Hektar Grünland, 50 Hektar extensiv
| Milchproduktion, Futterbau, Photovoltaik (Biogas in Planung)
| 7 Ak plus vier Azubis (im Durchschnitt)
Trockenstress? Nein, nicht in Schleswig-Holstein
Die erste Besonderheit auf Hof Holling: Trockenheit ist kein Problem! „Für uns ist das trockene Wetter gerade passend, weil wir alle Flächen befahren können“, erklärt der Betriebsleiter. Probleme mit vertrocknetem Mais oder Futtermangel hat er bisher glücklicherweise nicht. Beim Maisanbau ist viel Stärke das oberste Ziel. „Wir legen den Mais mit wenig Saatstärke, setzen bei den Sorten zu 80 % auf Zahnmais und häckseln auf 80 cm Stoppelhöhe, um ca. 40 % Stärke zu erreichen. Neben Silomais ernten sie auch Körnermais feucht und konservieren ihn.
Ich möchte möglichst stärkereichen Mais füttern, deshalb lasse ich bewusst lange Stoppeln stehen und mische lieber mehr Gras in die Ration.
Sönke Holling
Gras wird ab Mitte Mai konsequent alle vier Wochen geschnitten (insgesamt fünf Schnitte). Nach jedem Schnitt wir die Fläche gepflegt. Auf den 50 ha Extensiv-Grünland machen sie zwei Schnitte und möchten dort zukünftig auch Angus weiden. „Heu machen wir gar nicht, das kann ich nicht“, gibt Holling zu. Auf dem zweiten Standort probieren sie sich gerade in Weidehaltung, sind aber nicht überzeugt. „Ich finde Weidehaltung super, aber dafür braucht es die passenden Böden, das passende Klima und gute Leute, die sich auskennen. Zu unserem Betrieb passt das aktuell nicht, der IOFC war bisher mit Weide immer schlechter.“
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Die Fachkräfte-Schmiede
Die zweite Besonderheit: Der Betrieb ist gut ausgestattet mit Mitarbeitern! Neben der Familie gehören vier rumänische Mitarbeiter und zwei Festangestellte für die Außenwirtschaft zum Team Holling. Dazu zählen jährlich vier Azubis sowie ein Herdsman-Trainee. „Juli und August sind wichtige und intensive Monate für mich, denn da arbeite ich vier bis fünf neue Mitarbeiter ein“, sagt Sönke Holling. Gelernte Landwirte (oder wie er sagt „alle, die Bock auf Kühe haben“) können ein einjähriges Trainee-Programm als Herdsman auf dem Hof Holling absolvieren. Der Herdsman kümmert sich gemeinsam mit Melkern, Fütterern und Azubis um die praktische Betreuung der Herde. Zudem soll er Verantwortung in der Mitarbeiterführung sowie im Controlling übernehmen und nimmt zusätzlich an der Herdsman-Fortbildung der Tierarztpraxis Agroprax teil. Mit der Zeit hat Sönke Holling gemerkt, dass er für diesen Posten nicht unbedingt „Kuhmenschen“ benötigt, sondern auch „Menschen-Menschen“, die ein Team managen können.
Am Anfang habe ich immer nach Kuh-Menschen gesucht. Heute weiß ich, dass ein Betrieb vor allem auch einen Menschen-Menschen braucht.
Sönke Holling
Doch nicht nur die Herdsmen sollen lernen, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, auch die Azubis leitet Sönke Holling zum selbstständigen Arbeiten an. Die Lehrlinge arbeiten im Schichtsystem und wechseln sich mit den Tätigkeiten ab: zwei Wochen Füttern, eine Woche Melken oder Außenwirtschaft, eine Woche Stalldienst. Alle neuen Mitarbeiter absolvieren einen Besamungskurs und können nach der Ausbildung erfolgreich besamen. Das dient den Leuten als Qualifikation und dem Betrieb, damit kein Notstand an Leuten für die Besamung entsteht. Für Sönke und Heike Holling ist die Ausbildung junger Leute eine Leidenschaft. Außerdem schätzen sie das Netzwerk, was sie sich dadurch aufbauen und mit dem sie sich jedes Jahr neu austauschen können. „Davon profitieren alle!“
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Herdenmanagement mit System
Ein Blick auf die Details: Auf dem Hof Holling funktioniert das gesamte Herdenmanagement als System: „Der Mensch vergisst mit der Zeit oder verliert den Fokus. Deshalb ist es hilfreich, alle Arbeitsschritte systematisch aufzubauen. Ebenso wichtig sind regelmäßige Schulungen für das gesamte Team. Erinnerungszettel und SOPs alleine reichen nicht“, so Holling.
Die hohe Milchleistung ist erst gekommen als ich gelernt habe, in klaren Systemen zu arbeiten.
Sönke Holling
Controlling:
Standardarbeiten wie Trockensubstanz kontrollieren, Gruppenwechsel, Klauenpflege, Besamungen oder Trächtigkeitsuntersuchungen erfolgen nach Wochenplan. Zudem verfasst der Herdsman Wochenberichte. Einmal pro Monat findet ein Herdencheck mit der Tierarztpraxis statt, bei dem neben Leistungsdaten und Tiergesundheitskennzahlen auch Futtertisch und Silos kontrolliert werden. „Wir versuchen, immer ein bisschen an die Grenzen zu gehen, um die Milchleistung zu steigern. Aber man muss auch schnell reagieren, wenn es nicht klappt“, beschreibt Milcherzeuger Holling seine Denke. Für die Kommunikation im Team setzt er auf WhatsApp-Gruppen. „Ich bin ein Freund von WhatsApp-Gruppen und bin aktuell bestimmt in 19 Gruppen, die sich nur um den Betrieb drehen.“
Gruppen:
Die Kühe sind in Trockensteher, Frischmelker (20 Tage), Färsen, Hochleistende (HL) und Niederleistende (NL) unterteilt. Die separate Färsengruppe melkt derzeit 40 kg im Schnitt. Zum Ende der Laktation kommen die Färsen dann zu den Kühen in den NL-Gruppe. Kühe werden von HL zu NL umgestallt, wenn sie tragend sind oder unter 45 kg Milch fallen.
Fütterung:
Die Grundration ist in allen melkenden Gruppen gleich und hat 36 % TS. Bei der HL-Gruppe wird Palmfett ergänzt. Die Trockensteher werden einphasig gefüttert. Gefüttert wird immer morgens, wobei sie die Kraftfutter-Vormischung nur zweimal pro Woche anmischen. Futter angeschoben wird acht bis zehnmal pro Tag, Ziel sind 5 % Futterrest. Wichtig ist Holling eine Längsverteilung des Futters, sofern das nötig ist. Das wäre mit einem Anschieberoboter nicht möglich, weshalb es den bisher nicht gibt.
Fruchtbarkeit:
Die Fruchtbarkeit wird über Hormonprogramme gesteuert (Ovsynch, Presynch). „Ich bin ein Freund von Systemen. Wenn wir ab dem 70. Tag mit Ovsynch starten, ist die erste Besamung zu 60 % erfolgreich. An jedem Montag erfolgen TU und Ovsynch, Donnerstags Besamen und Freitags sind nur Notfälle an der Reihe. Seit November tragen zudem alle Kühe Cowmanager-Ohrmarken zur Kontrolle der Tiergesundheit. Sönke Holling könnte sich vorstellen, durch dieses System den Hormoneinsatz zukünftig zu reduzieren.
Zucht:
„Wir produzieren seit zwei Jahren keine Bruderkälber mehr“, berichtet Holling. Alle Jungrinder sowie Kühe der ersten, zweiten und die besten der dritten Laktation werden gesext mit Holsteinbullen besamt (Anpaarungsberatung alle drei Monate). Alle anderen Kühe werden mit Angus besamt, so kommen sie auf ca. 12 bis 14 Kuhkälber im Monat. „Von einer guten Kuh habe ich im besten Fall drei gute Kuhkälber, zudem erreichen wir den Zuchtfortschritt mit der jungen Genetik. Deshalb benötige ich keine Zuchtwerte der weiblichen Tiere, ich würde die Daten vermutlich sowieso nicht richtig nutzen“, sagt er. Sein Ziel ist eine Remontierung von 25 bis 30 % zu erreichen und ZU-Entscheidungen selbst zu treffen. Die derzeitige Abgangsleistung liegt bei ca. 28.000 kg Milch.
Kälberaufzucht:
Alle Kälber werden über die ersten 28 Tage ad libitum getränkt (Vollmilch + MAT, 15 % TS, 30 % Magermilchanteil). Dann erhalten sie restriktiv zweimal täglich vier Liter und werden mit 70 Tagen abgesetzt. Die erste Besamung erfolgt in der Regel im Alter von elf bis zwölf Monaten.
Eutergesundheit:
Die Kühe werden am 225. Laktationstag oder wenn sie unter 20 kg Milch fallen, trockengestellt – selektiv nach Zellzahl. Bei Eutererkrankungen greift er bei Färsen deutlich schneller ein als bei Kühen. In vielen Bereichen könnte sich Sönke Holling vorstellen, noch mehr nach der Einzelkuh zu gehen: „Wir müssen mehr auf das Tier hören und tierindividueller reagieren, aber gerade mit vielen Mitarbeitern ist das schwierig. Ich hoffe, dass uns die Technik in Zukunft Systeme dafür liefert.“
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Die wichtigsten Erfolgsfaktoren im Stall:
| Herdenmanagement mit System – Klare Strukturen in allen Bereichen verfolgen, auch mal an Grenzen gehen und bei Problemen rechtzeitig gegensteuern.
| Gesteuerte Fruchtbarkeit – 170 Melktage im Durchschnitt sowie Besamungs- und Abgangsentscheidungen selbst zu treffen sind das Ziel.
| Auslauf – Der zusätzliche Außenbereich für die Melkenden bietet zusätzlichen Platz, Fressplätze, Licht und Luft. Bei passender Witterung fressen die Kühe hier doppelt so viel wie im Stall.
Veränderungen, die zuletzt Erfolg gebracht haben:
| Das Einrichten einer Färsengruppe!
| Die Gruppenwechsel bei den Kühen zu minimieren!
| Das Grundfutter immer konsequenter zu produzieren!
Milch bleibt gefragt!
„Meine Zukunftspläne? Die sind jedes halbe Jahr anders“, sagt Sönke Holling grinsend. „Feststeht, dass wir alle das Tierwohl und die öffentliche Akzeptanz verbessern müssen. Leider werden Investitionen in Tierwohl in Deutschland nicht entsprechend bezahlt. Ich sehe aber eine Chance in den sinkenden Milchmengen und dem Weltmarkt. Wir produzieren ein weltweit gefragtes Produkt nach den höchsten Standards, das auch zukünftig knapp bleiben wird. DAs müssen wir nutzen, um die weltweite Akzeptanz zu steigern und das Produkt Milch höherpreisig (nicht hochpreisig) zu verkaufen“, argumentiert er.
Wir produzieren ein weltweit gefragtes Produkt nach den höchsten Standards, was auch zukünftig knapp bleiben wird.
Sönke Holling
Eine Herausforderung oder auch Chance für die Zukunft sieht Holling in der Betriebsausrichtung: „Wichtig ist, ein System zu fahren, das zum Betrieb und zum Standort passt. Ich probiere sehr gerne neue Dinge, habe aber auch erkannt, dass es für uns am meisten Sinn macht, intensiv zu wirtschaften und nur ein System zu fahren.“ Norddeutschland sieht er als prädestiniert, um Milch zu produzieren. „Wir haben genug Grünland, praxisnahe Wissenschaft und moderne Betriebe. Kühe kann nicht jeder, dafür braucht es natürlich gute Leute. Ab wenn es irgendwo geht, dann hier!“
Andere Produktionsstrategien wie Bio, Weide oder Jerseys finde ich spannend, es muss aber zum Betrieb passen.
Sönke Holling
Sönke Hollings Nachfolger steht schon in den Startlöchern. Sohn Oke (21 Jahre) hat bereits ein Herdsman-Jahr absolviert und startet nun sein landwirtschaftliches Studium. Beide Hollings möchten zukünftig alle Melkenden an einen Standort holen, dafür wird ein neuer Kuhstall nötig sein. Auch mehr Automatisierung ist denkbar. „In meinen Augen ist es keine Frage, ob man irgendwann automatisch melkt, sondern wann“, ist sich Sönke Holling sicher. Auch in der Technisierung sieht er eine Chance, die Milcherzeuger annehmen sollten, um auch in Zukunft Milch zu produzieren.
Das hat uns besonders beeindruckt:
| Die Kunst, auf der einen Seite extrem einheitliche Systeme zu fahren und sich gleichzeitig immer wieder auf neue Leute einzustellen und diese größtenteils selbstständig lernen zu lassen. Und: Dabei auch offen zu sein, die Systeme ggf. auch zu verändern.
| Die vielen kleinen Details im Herdenmanagement, die alle zusammen zur hohen Leistung führen.
| Die optimistische Einstellung zur Milchproduktion und das „Weiterdenken“.
Zur Homepage des Betriebs: Hof Holling